Institut für Allgemeinmedizin, LMU Klinikum
Peer reviewed article eingereicht: 23.12.2020, akzeptiert: 22.03.2021
DOI 10.3238/zfa.2021.0263–0268
Hintergrund
Die Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung ist regional, national und international seit einigen Jahren ein wichtiges Thema der Gesundheitspolitik. Die Altersstruktur der Hausärzteschaft wird von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns im Versorgungsatlas mit einem Durchschnitt von 55,2 Jahren und einem Anteil von über 60-Jährigen von 35 % angegeben [1]. Für Studium und Weiterbildung werden mindestens 11 Jahre, in der Regel jedoch 15 Jahre benötigt [2]. Aus der Betrachtung der Altersstruktur der Hausärzteschaft und der Weiterbildungsdauer wird deutlich, dass es zumindest zu einer erheblichen Versorgungslücke kommen wird. Mit sinkender vertragsärztlicher Versorgung wird der innerdeutsche Wettbewerb um Ärztinnen und Ärzte zunehmen [3].
Verschiedene Akteure des Gesundheitswesens, wie Kassenärztliche Vereinigungen, Verbände, Institute für Allgemeinmedizin, Krankenkassen, aber auch Landkreise, Städte und Gemeinden haben in den letzten Jahren Fördermaßnahmen initiiert, um die hausärztliche Versorgung, insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu sichern. Als Maßnahmen werden nach Zielgruppe unter anderem Stipendien, eine Strukturierung der Weiterbildung oder auch Niederlassungsprämien angeboten.
Eine strukturierte Erhebung dieser Fördermaßnahmen in Deutschland fehlt. Ziel dieser Arbeit ist die systematische Erhebung und Darstellung der Einzelmaßnahmen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung, ressourcenbedingt wird die Erhebung auf das Bundesland Bayern beschränkt.
Methoden
In einer Literaturrecherche wurden Akteure identifiziert, die für die Initiierung entsprechender Fördermaßnahmen relevant erscheinen. Die Literaturrecherche erfolgte in den etablieren Fachliteraturbanken (PubMed, Cochrane Libary) und per Handsuche in einschlägigen Publikationen und kommerziellen Suchmaschinen des Internets (Google). Für beide Schritte wurden die folgenden Schlagworte genutzt: Hausarztmangel (Primärversorgung, Allgemeinmedizin, Hausarzt, Versorgungssicherung, Primärversorgung, Akteure), geförderte Personengruppe (Schüler, Studierende, Ärzte in Weiterbildung, Hausärzte), Fördermaßnahme (Förderung, Unterstützung, Versorgungskonzepte, Versorgungssicherung) und Ort (Bayern).
Es konnten insgesamt 21 Akteure (inkl. Ansprechpartner) identifiziert werden. Hierbei handelt es sich um die KV Bayerns, Krankenkassen, Universitäten (Institute), Bayerische Landesärztekammer mit der Koordinierungsstelle Allgemeinmedizin (KoStA), Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin, Gewerkschaften und das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit. Aufgrund des generellen Bewerberüberschusses auf Studienplätze der Humanmedizin, wurde auf das Kontaktieren schülerspezifischer Akteure, wie Lehrerverbände, Kultusministerium oder Schulleiter verzichtet.
Potenzielle Akteure sind auch Landkreise, Städte und Gemeinden, welche selbstständig oder als Kooperationspartner lokale Fördermaßnahmen durchführen könnten. Hier erfolgte durch die Autoren keine Vorselektion nach potenzieller Relevanz.
Fragebogen
Für die Erhebung wurde ein elektronisch ausfüllbarer Fragebogen im PDF-Format erstellt. Auf der ersten Seite des fünfseitigen Bogens wurde in einem Anschreiben das Ziel der Erhebung erläutert; dies sollte die Akteure zum Ausfüllen motivieren. Die Akteure wurden auch um Antwort gebeten, wenn keine Fördermaßnahme durchgeführt wird. Der Fragebogen umfasste zwei Teile, einen ersten mit neun Fragen mit allgemeinen Informationen für Bewerber (u.a. Programmbeschreibung, Bewerbungsvoraussetzungen) und einen zweiten mit 17 Fragen zur Programmevaluation. Der Fragebogen wurde auf Verständlichkeit, Konsistenz und Praktikabilität mit Ärzten des Institutes für Allgemeinmedizin der LMU vorgetestet und anschließend entsprechend modifiziert. Der verwendete Fragebogen ist als eSupplement in der Online-Version des Artikels auf der Website der ZFA (www.online-zfa.de/) zugänglich.
Datenerhebung
Die Erfassung der Fördermaßnahmen der Landkreise, Städte und Gemeinden erfolgte in Kooperation mit dem Bayerischen Landkreistag und dem Bayerischen Städtetag. Über diese konnte mittels der hausinternen Rundschreibedienste der Fragebogen versendet und einmalig eine Erinnerung via E-Mail verschickt werden. An alle anderen Akteure wurde eine E-Mail und eine Erinnerungsmail verschickt, bei weiterhin ausstehender Antwort erfolgte ein Erinnerungsanruf. Die Antworten waren via E-Mail, Fax oder Post möglich.
Ein- und Ausschlusskriterien
Die Fördermaßnahmen sollen als Ziel die Verbesserung der allgemeinmedizinischen Versorgung haben. Die Maßnahmen sollen an Individuen im Sinne von natürlichen Personen wie Schülerinnen und Schüler, Medizinstudierende, Ärzte in Weiterbildung und Hausärztinnen und Hausärzte gerichtet sein. Eine verbindliche Einschreibung, beziehungsweise Bewerbung der Individuen ist Bedingung, sodass eine klare Abgrenzung zu reinen Werbemaßnahmen besteht. Alle Fördermaßnahmen sind in Bayern lokalisiert.
Datenanalyse
Aufgrund der vorhandenen Fallzahl erfolgte eine deskriptive Datenanalyse mit Microsoft Excel.
Ethikvotum
Die Erhebung wurde der Ethikkommission der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München vorgelegt (Projekt Nr.: 19-329) und von dieser positiv bewertet.
Ergebnisse
Rücklauf
Der Fragebogen wurde im Zeitraum von Mai bis September 2019 an die 21 Ansprechpartner der Akteure geschickt. Alle 21 angeschriebenen Akteure antworteten und es konnten 26 Maßnahmen identifiziert werden. Von den 71 angeschriebenen Landkreisen antworteten 20 (28 %), vier Maßnahmen (Nr. 1, 2, 3, 13) konnten durch die Landkreise identifiziert werden, des Weiteren wurden drei redundante Maßnahmen angegeben. Von den 287 angeschriebenen Städten und Gemeinden antworteten 56 (20 %). Bei den Städten und Gemeinden wurden vier redundante Maßnahmen angegeben, es konnte keine zutreffende Maßnahme identifiziert werden. Redundante Maßnahmen sind Maßnahmen, welche bereits durch die 21 vorselektierten Akteure identifiziert wurden. Insbesondere einzelne allgemeinmedizinische Weiterbildungsverbünde der KoStA wurden hierbei angegeben.
Identifizierte Fördermaßnahmen
Insgesamt konnten 30 Maßnahmen, wie in der Tabelle 1 dargestellt, identifiziert werden. Von diesen Maßnahmen sind 19 landesweit (Nr. 4–6, 14–18, 20–30), fünf regional (Nr.:1, 2, 3, 12, 13) und sechs universitätsbezogen (Nr. 7–11, 19). Es konnten keine Maßnahme für Schülerinnen und Schüler, 14 Maßnahmen für Studierende (1–14), acht für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung (13, 15–21) und zwölf für Hausärztinnen und Hausärzte (14, 20, 21–30) identifiziert werden. Einige Maßnahmen sprechen zwei Zielgruppen an.
Nr. | Zielgruppe | Name der Fördermaßnahme | Organisator |
1 | Stu | Main Sommer im Landkreis Haßberge | Landkreis Haßberge |
2 | Stu | Stipendiatenprogramm für Studierende der Humanmedizin | Landkreis Coburg |
3 | Stu | Ferienakademie Altmühlfranken | Klinikum Altmühlfranken |
4 | Stu | Famulaturförderprojekt | Stiftung BHÄV und TKK |
5 | Stu | Stipendium für Medizinstudierende | StMGP |
6 | Stu | FamuLAND – Die KVB-Förderung für Medizinstudierende | KVB |
7 | Stu | Beste Landpartie Allgemeinmedizin (BeLA) – „Klasse Allgemeinmedizin“ | IfA TUM |
8 | Stu | Beste Landpartie Allgemeinmedizin (BeLA) – Programm im PJ | IfA TUM |
9 | Stu | Beste Landpartie Allgemeinmedizin (BeLA) – „Klasse Allgemeinmedizin“ | IfA FAU Erlangen |
10 | Stu | Beste Landpartie Allgemeinmedizin (BeLA) – Programm im PJ | IfA FAU Erlangen |
11 | Stu | Fahrtkostenzuschuss/-erstattung im Blockpraktikum im ländlichen Raum | IfA JMU Würzburg |
12 | Stu | Exzellent – hervorragende Aus- und Weiterbildung im ARBERLAND | Die LandArztMacher und AOK Bayern |
13 | Stu, ÄiW | Förderprogramm „Klinikstudent/-in“ im Landkreis Haßberge | Haßberg-Kliniken |
14 | Stu, HÄ | Förderung des PJ-Tertials Allgemeinmedizin | Stiftung BHÄV |
15 | ÄiW | Allgemeinmedizinische Weiterbildungsverbünde | KoStA |
16 | ÄiW | Seminartage Weiterbildung Allgemeinmedizin (SemiWAM) | KoStA/KWAB |
17 | ÄiW | Mentoring | KWAB |
18 | ÄiW | Förderung der Allgemeinmedizinischen Weiterbildung | KVB |
19 | ÄiW | Führungskräfteprogramm Hausarzt 360 | IfA LMU |
20 | ÄiW, HÄ | Tage der Weiterbildung | KWAB |
21 | ÄiW, HÄ | Stipendium für ärztliche Führungskräfte der Stiftung für Allgemeinmedizin | Stiftung für Allgemeinmedizin |
22 | HÄ | Förderung der Niederlassung von Ärzten und Psychotherapeuten im ländlichen Raum | StMGP |
23 | HÄ | Train-the-Trainer-Fortbildungsprogramm | KWAB |
24 | HÄ | Zuschuss zur Niederlassung | KVB |
25 | HÄ | Praxisaufbauförderungen | KVB |
26 | HÄ | Investitionskosten im Rahmen | KVB |
27 | HÄ | Zuschuss zur Errichtung einer Zweigpraxis | KVB |
28 | HÄ | Zuschuss zur Praxisfortführung über das 63. Lebensjahr hinaus | KVB |
29 | HÄ | Zuschuss zur Beschäftigung eines angestellten Arztes/Psychotherapeuten | KVB |
30 | HÄ | Zuschuss zur Beschäftigung einer VeraH | KVB |
Abkürzungen: ÄiW = Ärzte in Weiterbildung, HÄ = Hausärzte, Stu = Studierende, BHÄV = Bayerischer Hausärzteverband, TKK = Techniker Krankenkasse, KVB = Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, StMGP = Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, IfA = Institut für Allgemeinmedizin, KWAB = Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin | |||
Tabelle 1 Übersicht der erhobenen Fördermaßnahmen |
Inhalte der Fördermaßnahmen
Die angegebenen Maßnahmen unterscheiden sich vom Inhalt entsprechend der Zielgruppe stark. Bei Maßnahmen für Studierende stehen Ferienakademien, Famulaturen bzw. praktisches Jahr (PJ), Förderungen, Allgemeinarzt Tracks, Blockpraktikums-Fahrtkostenzuschuss und Stipendien im Vordergrund.
Der Fokus bei den Maßnahmen für Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung liegt auf einer generellen finanziellen Förderung der Weiterbildung, einer Verbesserung der Qualität der Weiterbildung durch die Angebote des Kompetenzzentrums Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB) und KoStA sowie der Strukturierung der Weiterbildung überwiegend durch Weiterbildungsverbünde.
Die Fördermaßnahmen für Hausärztinnen und Hausärzte sind überwiegend von der KV Bayerns durchgeführt und setzen direkte finanzielle Anreize zur Verbesserung der Versorgung in ausgewiesenen Regionen. Bei den Regionen handelt es sich um Regionen mit Unterversorgung oder drohender Unterversorgung. Gefördert wird die Niederlassung bzw. der Aufbau einer Zweigpraxis, die Anstellung von Ärztinnen und Ärzten bzw. Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis oder auch die Praxisfortführung über das 63. Lebensjahr hinaus. Eine Ausnahme stellen die Train-the-Trainer-Angebote des Kompetenzzentrums Weiterbildung Allgemeinmedizin Bayern (KWAB) dar, welche sich an Hausärzte richten und durch Lehrfortbildungen die Qualität der Weiterbildung verbessern soll.
Jahr der Einführung der Fördermaßnahmen
Die Fördermaßnahmen in der jetzigen Form sind überwiegend in den letzten 5 Jahren entstanden. Als Einschränkung ist zu nennen, dass einige Maßnahmen in anderer Form bereits vorher bestanden. Als Beispiele sind hier z.B. die Förderung der Weiterbildung Allgemeinmedizin zu nennen, welche mit aktueller Förderhöhe erst seit 2015 mit Verabschiedung des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes in Kraft getreten ist. Aber auch die Projekte der Besten Landpartie Allgemeinmedizin (BeLA) hatten mit dem PJ-Modellprojekt „Ausbildungskonzept Allgemeinmedizin Dillingen” ein Vorläuferprojekt [4].
Ende der Fördermaßnahmen
Bei 19 Maßnahmen (1–4, 6, 13–16, 18, 19, 21, 24–30) wurde angegeben, dass kein Ende vorgesehen ist. Fünf Maßnahmen (5, 12, 20, 22, 23) stehen unter Finanzierungsvorbehalt und sollen, wenn möglich fortgesetzt werden. Bei weiteren fünf Maßnahmen (7–10, 17) ist ein vorläufiges Ende festgesetzt, eine Fortführung sei in gegebenenfalls modifizierter Form jedoch denkbar. Lediglich eine Maßnahme, der Fahrtkostenzuschuss am Institut für Allgemeinmedizin in Würzburg (11), endet, wenn die finanziellen Mittel aufgebraucht sind.
Kategorisierung der Fördermaßnahmen
Eine Möglichkeit Fördermaßnahmen zu kategorisieren wird nach Sibbald [5] in seiner Übersichtsarbeit beschrieben. Demnach können Fördermaßnahmen in utilitaristische, normative und Zwangsmaßnahmen unterschieden werden. Die Maßnahmen wurden entsprechend ihres Hauptanreizes durch die Autoren eingeteilt.
Normative Fördermaßnahmen sollen das Verantwortungsbewusstsein der Hausärztinnen und Hausärzte fördern, sodass sie in den Regionen praktizieren, in welchen der Bedarf am größten ist. Der Anreiz liegt hier vor allem in einer Steigerung des Prestiges und der Selbstwirksamkeit. Hierzu zählen überwiegen Maßnahmen, welche den Kontakt mit dem ländlichen Raum in der Ausbildung verbessern. Wir ordneten 17 Maßnahmen (Nr. 1, 3, 4, 6, 8, 10, 11, 12, 14–21, 23) dieser Kategorie zu.
Utilitaristische Fördermaßnahmen verwenden finanzielle und nichtfinanzielle Anreize zum Ausgleich etwaiger Nachteile für die Arbeit in bestimmten Regionen. Neben finanziellen Förderungen zählen hierzu auch nichtfinanzielle Anreize wie die Bereitstellung von Praxisräumen oder auch attraktive Arbeitszeitmodelle. Wir identifizierten acht Maßnahmen (Nr. 22, 24–30) dieser Kategorie zu.
Zwangsmaßnahmen bzw. obligate Maßnahmen sind eine Kategorie von Maßnahmen, bei denen Ärzte als Voraussetzung für Ausbildung, finanzielle Unterstützung oder Approbation sich verpflichten, eine erhebliche Förderbedingung einzugehen. Die Förderbedingung, z.B. das Arbeiten in einer ländlichen Region, ist bei obligaten Maßnahmen dem Anreiz in der Regel zeitlich nachgelagert. Wir ordneten fünf Maßnahmen (Nr.: 2, 5, 7, 9, 13) zu dieser Kategorie.
Diskussion
Der Rücklauf von den 21 identifizierten Akteuren durch Anschreiben, Erinnerungsmail und Erinnerungsanruf war 100 %. Von den angeschriebenen Landkreisen antwortenden 28 % und bei den Städten und Gemeinden, welche im Städtetag organisiert sind, antworteten 20 %. Im Vergleich zur Befragung von Steinhäuser et al. [6] bei welcher sich 63 % der angeschriebenen Bürgermeister zur kommunalen Sicht auf den Hausarztmangel äußerten, erscheint die Rücklaufquote verbesserbar. Ein persönlicher Erinnerungsanruf ist, anders als bei den 21 Akteuren, nicht erfolgt und hätte vermutlich zu einer Steigerung der Rücklaufquote geführt. Eine Auswahlverzerrung bei den antwortenden Städten und Gemeinden war auffällig. Die größeren Organisationseinheiten hatten eine höhere Rücklaufquote, eine Ursache könnte die höhere Verwaltungskapazität sein.
Die erhobenen 30 Fördermaßnahmen decken mit den verschiedenen Ansätzen einen breiten Bereich der einzelnen Abschnitte der ärztlichen Ausbildung und des Berufslebens ab. Für Studierende, Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung und Hausärztinnen und Hausärzte bestehen verschiedenste Maßnahmen. Für Schülerinnen und Schüler konnte keine Maßnahme identifiziert werden.
Im nationalen Vergleich haben die bevölkerungsreichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg in absoluten Zahlen die meisten Seminartage Weiterbildung Allgemeinmedizin (SemiWAM) im Jahr 2017 angeboten. Auch in der Zahl der Weiterbildungsverbünde, welche den Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung eine strukturierte und geplante Ausbildung ermöglichen, ist Bayern und Baden-Württemberg in der absoluten Zahl führend [7]. Ein Vergleich der anderen Fördermaßnahmen gestaltet sich aktuell schwierig, da systematische Erhebungen in anderen Bundesländern fehlen.
„Rural pipeline“
Das von Henry et al. [8] beschriebene Konzept der „rural pipeline“ beschreibt als Metapher die Annahme, dass die spätere medizinische Arbeit in ländlichen Gebieten im Wesentlichen von vier Bereichen abhängt: Kontakt zwischen ländlicher weiterführender Schule und der medizinischen Profession, Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern mit ländlicher Herkunft für das Medizinstudium, Integration von ländlicher Ausbildungsabschnitten in die Lehre und Maßnahmen zum Erhalt der bereits im ländlichen Raum tätigen Arbeitskräfte. Die ländlichen Gebiete in Deutschland sind nicht direkt vergleichbar mit den ländlichen Gebieten Australiens, Neuseelands oder Kanadas, trotzdem fügen sich die in Bayern gefundenen Maßnahmen in das Konzept der „rural Pipeline“ gut ein [9]. Insbesondere wird versucht die Lehre weiter in den ländlichen Raum zu verlagern, wodurch Studierende mit ländlichen Regionen in Kontakt kommen. Fördermaßnahmen wie die „Beste Landpartie“ haben dies als Ziel. Die Lehre in ländlichen Regionen kann zu sogenannten Klebeeffekten führen, d.h. dass Studierende sich anschließend eher entscheiden in diesen Regionen zu bleiben. Diese Effekte sind in der internationalen Literatur gut beschrieben [10].
Bei der Einteilung nach Fördermaßnahmenkategorien nach Sibbald [5] zeigten sich deutliche Unterschiede der Maßnahmen je nach Zielgruppe. Die meisten normativen Maßnahmen erfolgten bei Studierenden und Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung. Die überwiegende Mehrheit der obligaten Maßnahmen ist bei Studierenden zu finden. Auffällig ist vor allem, dass keine utilitaristischen Maßnahmen bei Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung und wenig normative Maßnahmen bei Hausärztinnen und Hausärzten angeboten werden. Auch wenn die Differenzierung insbesondere zwischen utilitaristisch und obligaten Anreiz teils nur schwierig möglich ist und einzelne Maßnahmen mit mehreren Anreizen arbeiten, zeigt sich, dass noch potenziell andere Anreize in bestimmten Weiterbildungsabschnitten möglich sind.
Stärken und Schwächen der Arbeit
Die Liste der Akteure wurde auf der Grundlage der Literaturrecherche und eigener Expertise erstellt. Es könnten Akteure, insbesondere solche, welche keine Vertretung auf der Landesebene haben, nicht angesprochen worden sein. Der Rücklauf der schriftlichen befragten Landkreise sowie Städte und Gemeinden war mit 28 % und 20 % im Vergleich zu anderen Arbeiten geringer [6]. Zusammengenommen könnte dies zu einer unvollständigen Erhebung der Fördermaßnahmen in Bayern geführt haben. Alle den Autoren zum Zeitpunkt der Erhebung bekannten Fördermaßnahmen in Bayern wurden mit der angegebenen Suchstrategie identifiziert. Durch die Operationalisierung des Forschungsgegenstands wurden Fördermaßnahmen in anderen Bundesländern nicht betrachtet. Diese sind für Bewerber und Bewerberinnen aus Bayern jedoch potenziell ebenfalls von Interesse.
Schlussfolgerungen
Die Fördermaßnahmen zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in Bayern werden von zahlreichen Akteuren im Gesundheitswesen initiiert und durchgeführt. Es konnten 30 Maßnahmen identifiziert werden, welche an verschiedenen Zeitpunkten der Weiterbildung ansetzen. Bundesweite systematische Erhebungen sind notwendig um einen Überblick aller Fördermaßnahmen für Bewerber zu erhalten.
Zusatzmaterial im Internet (www.online-zfa.de)
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Literatur
1. Versorgungsatlas Hausärzte-Darstellung der regionalen Versorgungssituation sowie der Altersstruktur in Bayern. München: Kassenärztliche Vereinigung Bayerns; 2021. www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/UeberUns/Versorgung/KVB-Versorgungsatlas-Hausaerzte.pdf
2. van den Bussche H, Nehls S, Boczor S, et al. Was wissen wir über die reale Dauer der ärztlichen Weiterbildung in Deutschland? Dtsch Med Wochen schr 2018; 143: e152–e158
3. Kroll LE, Schulz M, Hering R, Czihal T, von Stillfried D. Bedarfsprojektion für Medizinstudienplätze in Deutschland. Berlin: Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland; 2019. www.zi.de/fileadmin/images/content/Publikationen/Zi-Paper_14-2019_Bedarfsprojektion_fuer_Medizinstudienplaetze.pdf
4. Schneider A, Schelling J, Barth N, Storr C, Bechtel U. „Die sind hier Hausärzte mit Leib und Seele und das steckt an“ – Eine qualitative Vergleichsstudie des PJ-Modellprojekts „Ausbildungskonzept Allgemeinmedizin Dillingen”(AKADemie). Z Allg Med 2017; 93: 68–72
5. Sibbald B. Putting general practitioners where they are needed: an overview of strategies to correct maldistribution. University of Manchester; 2005. www.population-health.manchester.ac.uk/primarycare/npcrdc-archive/Publications/overview%20of% 20strategies%20to%20correct% 20maldistribution.pdf
6. Steinhäuser J, Scheidt L, Szecsenyi J, Götz K, Joos S. Die Sichtweise der kommunalen Ebene über den Hausärztemangel – eine Befragung von Bürgermeistern in Baden-Württemberg. Gesundheitswesen 2012; 74: 612–617
7. Vereinbarung zur Förderung der Weiterbildung gemäß § 75a SGB V Evaluationsbericht 2017. Berlin: Kassenärztliche Bundesvereinigung; 2017. www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Weiterbildung/Weiterbildungsfoerderung_Evaluationsbericht_2017.pdf
8. Henry J, Edwards B, Crotty B. Why do medical graduates choose rural careers? Rural and remote health 2009; 9: 1–13
9. Steinhaeuser J, Otto P, Goetz K, Szecsenyi J, Joos S. Rural area in a European country from a health care point of view: an adaption of the Rural Ranking Scale. BMC Health Serv Res 2014; 14: 147
10. Verma P, Ford JA, Stuart A, et al. A systematic review of strategies to recruit and retain primary care doctors. BMC Health Services Research 2016; 16: 126
Korrespondenzadresse
Dr. med. Paul Delker Institut für Allgemeinmedizin Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München Pettenkoferstr. 8a, 80336 München paul.delker@med.uni-muenchen.de